Wir präsentieren einen unserer spektakulärsten Nachbarn – den Grönlandhai. Er ist der einzige Hai, der rund um die Uhr die Gewässer der Arktis bewohnt; doch auch in den Tiefen des Nordatlantiks ist er zu Hause.
Was Somniosus microcephalus so außergewöhnlich macht? Er ist das längstlebige Wirbeltier unseres Planeten. Während die Seychellen-Riesenschildkröte Jonathan etwa 190 Jahre auf dem Panzer hat, deuten Radiokarbonstudien bei Grönlandhaien auf ein Alter von mindestens 392 Jahre hin – plus/minus 120 Jahre. Wir reden also vom frühen 17. Jahrhundert – heute lebende Grönlandhaie waren möglicherweise schon zu Shakespeares Zeiten auf der Welt …
Erwiesen ist jedenfalls, dass diese Tiere langsam wachsen und erst mit etwa 150 Jahren geschlechtsreif werden. In der eisigen Kälte der Arktis überdauern sie so die Zeit. Vor allem durch den Haifang für Lampenöl in den 1960er Jahren wird der Grönlandhai heute von der IUCN als “gefährdet” gelistet. Angesichts ihrer Lebensspanne erholen sich die Populationen nur extrem langsam von Fangdruck. Es ist also umso wichtiger, diese mystisch anmutenden Kreaturen im Meeresschutz mitzudenken.
Wie fängt man einen Grönlandhai – und warum überhaupt?
Im Herbst 2005 gelang es Mitarbeitern des kanadischen Ripley’s Aquariums nach einjährigen Vorbereitungen, ein rund 100 Jahre altes Grönlandhai-Weibchen mit 3,72 m Länge und rund 460 kg Gewicht im St. Lorenz-Strom zu fangen. Der Hai wurde in einem Tank auf einem Lkw über neun Stunden zur Dalhousie University transportiert, wo er in einem Aquarientank von gut 15 Metern Durchmesser und knapp 4 Metern Tiefe bei Wassertemperaturen zwischen 3,9 °C und 6,2 °C nur ganze 18 Tage überlebte. In diesen zweieinhalb Wochen schwamm das Tier immer wieder gegen die Aquarienwände und verletzte sich dabei im Laufe der Zeit am gesamten Körper. Die Verantwortlichen entschieden, die Haidame einzuschläfern, da ein Rücktransport ins Meer sinnlos erschien und das Tier, zu diesem Zeitpunkt bereits völlig entkräftet und verletzt, nur noch erlöst werden sollte.
Fazit des Teams: Das Ziel, einen Grönlandhai für ein Aquarium zur Schau auszustellen, ist misslungen. In Zukunft müsse man darüber nachdenken, kleinere und somit jüngere Grönlandhaie für Aquarienschauen zu fangen. Aus Sicht von ElasmOcean eine absurde Idee, die bis heute zum Glück nicht umgesetzt wurde.
Ein wahrer Eismeister!
Wie schafft man es, in konstant um 0° C herum kaltem Wasser zu überleben? Der Grönlandhai hatte in der Evolution genug Zeit, sich an seinen eiskalten Lebensraum anzupassen: Das Fleisch von Somniosus microcephalus enthält eine der höchsten Konzentrationen von Trimethylaminoxid (TMAO), einem natürlichen „Frostschutzmittel“, das auch in anderen Tiefsee- und Kaltwasserfischen vorkommt.
TMAO hat für die Feinde dieser Spezies zudem ungewollte Nebenwirkungen: Schon vor vielen Jahren entdecken die Inuit, dass ihren Hunden das frische Fleisch des Grönlandhais nicht bekam. Oft waren diese Nebenwirkungen des TMAO nur Verdauungsbeschwerden, manchmal aber auch starke Rauschzustände oder Krämpfe, die bis zum Tod führen konnten – für Mensch oder Tier. Daher fermentierte man das Fleisch über viele Monate hinweg, indem man es 6 bis 12 Wochen lang eingrub und danach weitere Wochen trocknete. Bis heute ist dies in Island eine (etwas zweifelhafte) Delikatesse, die schon so manchen Touristen das Fürchten lehrte und nur mit einer gehörigen Portion hochprozentigen Alkohols „genießbar“ ist.
In unserer hiermit endenden Serie stell(t)en wir Haie der Nordsee und des Nordatlantik vor – man muss nicht um den halben Globus fliegen, um (keine) Haie zu sehen.
Quellen:
J. Nielsen et al.: Eye lens radiocarbon reveals centuries of longevity in the Greenland shark (Somniosus microcephalus). Science, 2016. http://doi.org/10.1126/science.aaf1703
P.M. Kyne et al.: Somniosus microcephalus. The IUCN Red List ofThreatened Species 2006. https://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2006.RLTS.T60213A12321694.en
The Elasmobranch Husbandry Manual II: Recent Advances in the Care of Sharks, Rays and their Relatives, pages 33-42. © 2017 Ohio Biological Survey