Wenn gewisse Bedingungen eintreten, können vormals stabile Systeme instabil werden: sie kippen. Ein Beispiel sind die massiven Eislager auf Grönland: wird es zu warm, schmilzt das Eis, und es schneit auch nicht genug, um neues Eis zu bilden. Der Eisschild verschwindet dauerhaft.
Hierbei gibt es rückkoppelnde Effekte, die sich ab einer gewissen Lage selbst verstärken, also zu einem Teufelskreis führen, der nicht mehr aufzuhalten ist, obwohl noch viel Eis vorhanden ist. Einen solchen “Kipppunkt” hat der Eisschild von Grönland nach einer aktuellen Studie nunmehr möglicherweise erreicht.
Der Temperaturanstieg der Luft durch den anthropogenen Klimawandel führt zum Abschmelzen des Eispanzers, dessen Höhe sich damit verringert. Seine höchsten Schichten gelangen damit in tiefere, noch wärmere Umgebungsluft, und schmelzen hier noch schneller weiter ab – und so weiter. Niemand kann einen so begonnenen Effekt mehr aufhalten – das Eis schmilzt unaufhaltbar ab.
Zwar gibt es auch gegenlaufende Effekte, beispielsweise eine höhere Luftfeuchtigkeit, was die Sonneneinstrahlung mindert und Schneefall auslösen kann – aber auch wieder den klimawirksamen Wasserdampf bedeutet, der die Temperatur ansteigen lässt. Solche Effekte reichen nicht mehr aus oder fallen sogar insgesamt weg: der “Tipping point” ist überschritten.
Die Studie der beiden Forscher Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie der Freien Universität Berlin und Martin Rypdal von der Arctic University of Norway deutet auf das Erreichen des Kipppunkts beim Westgrönlandischen Eisschild hin. Würde er insgesamt abschmelzen, stiege der Meeresspiegel weltweit allein hierdurch um bis zu zwei Meter im Jahrhundert, insgesamt um etwa sieben Meter. “Wir müssen vermutlich die globale Temperatur unter den Stand vor Beginn der industriellen Revolution bringen, um wieder die bekannte Höhe des Grönlandeisschilds zu erhalten“, so Niklas Boers gegenüber dem Guardian.
Quellen:
N. Boers, M. Rypdal: Critical slowing down suggests that the western Greenland Ice Sheet is close to a tipping point. PNAS, 2021. https://doi.org/10.1073/pnas.2024192118