Dieser Text lief über ein Vierteljahr vom Tag des Meeres am 8. Juni bis in den Oktober 2021 als 12teilige Serie bei facebook. Wir haben ihn hier zu einem Text zusammengestellt.
Tag des Meeres – neue Serie zur Tiefsee
Wir Menschen sind fasziniert vom Weltall, von der Suche nach bewohnbaren Planeten, von der aufregenden Technik, von Raketen, Raumflugzeugen und Mars-Rovern. Einer dieser Weltallbesuche bescherte uns eine der atemberaubendsten Aufnahmen unseres einzigartigen Planeten Erde als „blaue Kugel“. Das vielleicht symbolträchtigste Foto „The Earthrise“, aufgenommen am 24.12.1968 von Bill Anders, NASA Astronaut, aus der Apollo-8-Kapsel heraus.
Es war das erste Mal, dass der Mensch seinen Heimatplaneten als Ganzes aus der Distanz sah. Den wunderschönen, aber auch verletzlichen Himmelskörper, den es zu schützen gilt.
Solche Bilder sind in der Tiefsee nicht möglich. Dennoch müssen wir versuchen, einen Blick dafür zu bekommen, was unter der Meeresoberfläche liegt.
Die Tiefsee ist für uns Menschen bis heute die am wenigsten bekannte Region der Erde. Ganze vier Personen haben es bisher geschafft, zur tiefsten Stelle zu tauchen, dem Challengertief im westpazifischen Marianengraben, etwa 11 Kilometer tief. Selbst auf dem Mond waren mehr, nämlich 12. Die Rückseite des Mondes ist, obwohl sie von der Erde nicht zu sehen ist, besser erforscht ist als die Tiefen der Ozeane auf unserem eigenen Planeten.
Der Ozean ist im Durchschnitt 4.000 Meter tief. Uns bleibt vieles, insbesondere das, was sich in größeren Tiefen abspielt, verborgen – es ist dunkel, und der Wasserdruck ist immens – keine menschenfreundliche Umgebung.
Doch auch wenn die Tiefsee uns noch so fremd, beängstigend und geheimnisvoll erscheinen mag, ist ihr Einfluss unser aller Leben auf der Erde betreffend enorm.
Daher starten wir mit einer mehrteiligen Reihe zum Thema “Tiefsee” und stellen Euch einige der Bewohner vor und berichten von (menschgemachten) Schattenseiten:
Forschungsschiffe
Die „Sonne“ ist das Schwesterschiff der „Polarstern“, die durch die legendäre Expedition im Packeis des Arktis 2019/2020 der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Forschungsschiffe wie diese sind die wichtigsten Plattformen für den Einsatz der Meerestechnik, also quasi Ausgangsbasis und Forschungszentrale. Sie variieren in Größe und Ausrüstung und sind dadurch für verschiedenste Einsatzgebiete bereit.
Es befinden sich gut ausgestattete Labore an Bord, zum weiteren Equipment gehören Kräne, Winden, je nach Einsatz bemannte oder unbemannte Tauchboote. Wie aus einem Science-Fiction-Abenteuer klingen dann noch Gerätschaften wie Glider, Crawler, Floats, Multicorer, Lander und Roboter.
Die Fragen, die die heutige Tiefseeforschung mittels modernster Technik zu beantworten versucht, sind mannigfaltig. Es geht um Grundlagen, wie die Geologie des Lebensraumes Tiefsee. Welche Organismen leben dort? Wie hält das Leben den extremen Bedingungen, die dort herrschen, stand und welchen Wert und Einfluss hat die Tiefsee auf das Leben auf unserem Planeten? Welche Rohstoffe birgt die Tiefsee und wie lassen diese sich nachhaltig und gewinnbringend abbauen? Gibt es in der Tiefsee medizinische Wirkstoffe?
Und letztlich am wichtigsten, wie schützen wir die Tiefsee?
Kartierung
Mit modernsten Techniken, z.B. spezieller Sonar-Technik, ist man heute in der Lage, die Tiefsee als 3D-Modell zu visualisieren. Auf dem Bild rechts liegt der Seeberg Pao Pao im Pazifik, dessen steil aufragende Spitze aus rund 4500 Metern Tiefe bis 300 Meter unter die Wasseroberfläche ragt. Links daneben, nur 25 km entfernt, befindet ein unbekannter Berg. Die biologischen Gemeinschaften in ähnlichen Tiefen an den beiden Bergen variieren sehr stark, obwohl so nah beieinander. Bis heute hat man weltweit rund 100.000 solcher unterseeischen Berge kartiert, die meisten im Pazifik. Ihre Flanken sind regelrechte Oasen des Lebens mit komplexen Gemeinschaften in ewiger Finsternis. Und doch brummt hier das Leben.
Quelle: Maxon, A (2021): Cruise Report: EX-17-03, Discovering the Deep: Exploring Remote Pacific Marine Protected Areas (ROV and Mapping). National Oceanic and Atmospheric Administration, Office of Ocean Exploration and Research. https://doi.org/10.25923/Y9NQ-3P80
Quelle: Senckenberg “Vielfalt in der Dunkelheit” ISBN 978-3-510-61415-8
Quelle: Senckenberg “Vielfalt in der Dunkelheit” ISBN 978-3-510-61415-8
In weiten Teilen der Ozeane rieselt „Schnee“ das ganze Jahr über von der Wasseroberfläche in die Tiefen des Meeres, der „Marine Schnee“. Hierbei handelt es sich um organisches Material, um die Ausscheidungen und Überreste von Meerespflanzen und Tieren. Diese wirbeln in Form kleiner Partikel durch das Wasser. Rund ein Prozent dieses organischen Materials sinkt – als abgestorbene Zellen, totes Zooplankton, Tierkadaver, Kotklümpchen und andere Ausscheidungen – in die Tiefsee oder auf den Meeresboden ab, wo es von Sedimenten begraben wird. Dank dieses Vorganges wird Kohlenstoff aus dem CO2 der Atmosphäre für Hunderttausende von Jahren in der Tiefe eingelagert. Unsere Meere sind somit der größte Kohlenstoffspeicher des Erdsystems.
Schwefelbakterien nutzen hier Schwefelwasserstoff und andere gelöste Mineralstoffe als Energiequelle. Diesen Vorgang nennt man Chemosynthese. Die Schwefelbakterien leben als Symbionten in den Kiemen von Schlotmuscheln oder im umfunktionierten Verdauungstrakt von Röhrenwürmern und versorgen diese Tiere mit Nährstoffen. Als Gegenleistung finden die Bakterien Schutz und werden über den Blutkreislauf ihres Wirtes mit Kohlendioxid, Sauerstoff und Schwefelwasserstoff versorgt. Zu den Lebensgemeinschaften, die sich hier bilden gehören Vertreter der Nesseltiere ebenso wie Stachelhäuter (Seesterne, Seeigel), Muscheln, Schnecken, Krebse, Garnelen, ein wahrlich heißer Lebensraum.
Der Kaiserbarsch
Tiefsee-Fischerei
Quellen: MSC (2016): Orange Roughy Fact Sheet 2016. https://www.msc.org/docs/default-source/default-document-library/media-centre/msc-orange-roughy-factsheet-2016.pdf
Rosenberg, A.A. (2016): Full Assessment New Zealand Orange Roughy Fisheries. MSC ORH Public Certification Report. MRAC Americas.
Manganknollen
In 4.000-6.000 Metern Tiefe entstanden über Millionen von Jahren 10 bis 20 Zentimeter große Zusammenlagerungen verschiedener Metalle, der Großteil davon Mangan (27%), sowie Eisen, Nickel, Kupfer, Kobalt, Gold und seltene Erden. Die winzigen Metallteilchen lagern sich nur auf harten Oberflächen ab, daher werden im Inneren von Manganknollen häufig Fischzähne oder große Sandkörner als Keim gefunden. Da diese Rohstoffe für die Herstellung elektronischer Geräte wie Handys und Tablets benötigt werden, wird derzeit der großflächige Abbau von Manganknollen erforscht, da die Ressourcen an Land bald erschöpft sein werden. Man rechnet damit, dass in ca. 10 Jahren die entsprechend ausgereifte industrielle Technologie vorhanden sein wird, um Mangan auch in der Tiefsee abzubauen.
Drei Orte sind dafür im Gespräch. In der zentralpazifischen Clarion-Clipperton-Bruchzone mit 34 Milliarden Tonnen Manganknollen im östlichen Pazifik, die sich über rund 4500 Kilometer Länge von der AWZ (Ausschließlichen Wirtschaftszone) vom Inselstaat Kiribati bis vor die AWZ von Mexiko erstreckt (eine Fläche so groß wie halb Europa), haben viele Länder bereits Claims abgesteckt, 30 Lizenzen wurden bisher weltweit über die „International Seabed Authority (ISA) in Summe vergeben – 2,5 Millionen km².
Allerdings ist durch die Förderung auch die Heimat einer einzigartigen und vielfältigen Lebensgemeinschaft bedroht.
Wir zerstören damit ein Ökosystem, das wir noch nicht einmal ausreichend erforscht haben, um zu wissen WAS wir zerstören, mit unabsehbaren Folgen auch für uns Menschen.
Quellen:
https://www.isa.org.jm/…/clarion-clipperton-fracture-zone
Vanreusel, A. et al. (2016): Threatened by mining, polymetallic nodules are required to preserve abyssal epifauna. Sci. Rep. 6, 26808; doi: 10.1038/srep26808
Dr. Matthias Haeckel, GEOMAR, pers. Komm. (27.1.2021)
Moratorium
Es gibt noch Hoffnung für die Tiefsee. Vier Weltkonzerne setzen sich bisher ein: BMW, Google, Samsung und Volvo fordern ein internationales Moratorium gegen den Abbau von Manganknollen in der Tiefsee. Diese Konzerne teilen allesamt die Sorge, dass dort ein unwiederbringliches Ökosystem zerstört wird, für Jahrtausende, wenn nicht sogar für Jahrmillionen.
Währenddessen ist die Planung in vollem Gange, und Bergbaufirmen behaupten sogar, dass der Abbau der Manganknollen in der Tiefsee nachhaltiger sei als an Land.
Wir wollen hoffen, dass weitere Weltkonzerne folgen, und dass Technologien entwickelt werden, die vorhandenen Materialien zu recyclen und neu zu verwerten.
Quelle: David Shukman: “Companies back moratorium on deep sea mining”. BBC News 3. April 2021. https://www.bbc.com/news/science-environment-56607700
ElasmOcean-Fazit der Serie zur Tiefsee
Die Wissenschaft lernt immer meer über den “Lebensraum Tiefsee” und kann damit inzwischen deutlich belegen, wie wichtig und vor allem wie empfindlich er ist. Jahrmillionen alte Strukturen und Jahrtausende alte Korallen, fragile Lebewesen und Lebensräume, die uns fremd erscheinen, bilden einen Großteil des marinen Ökosystems. All dies geschieht außerhalb unserer Sichtweite, bis auf die wenigen Eindrücke durch eine Handvoll Forschern, die sich mit enormem technischen Aufwand in die Tiefsee aufmachen. 14.000 Arten wurden bisher neu entdeckt, und es werden von Tauchfahrt zu Tauchfahrt immer mehr.
Gleichzeitig wächst der Druck der Einwirkungen auf die Tiefsee: die Fischerei und Tiefseebergbau bedrohen Habitate und Biodiversität.
Wir wollen für die Tiefsee hoffen, dass sich die Menschheit eines Besseren besinnt, dass weitere Firmen dem Moratorium zum Stop des Manganabbaus beitreten, und dass Technologien und Recyclingverfahren entwickelt werden, die die Ausbeutung der Tiefsee überflüssig machen. Vor allem aber müssen die Menschen die Klimakrise ernst nehmen und die CO2-Emissionen in die Meere drastisch verringern, auch zur Rettung des Lebensraums Tiefsee.