Man könnte es auf einen einfachen Nenner bringen: Die EU-Fischereipolitik hat mit zu hoch angesetzten Fangquoten die Fischbestände in den nördlichen EU-Gewässern an die Wand gefahren.
Schaut man sich die ernüchternden Zahlen an, so ist eindeutig ersichtlich, dass die Fischbestände im Laufe der vergangenen 20 Jahre drastisch zurück gegangen sind, und das, obwohl Fangquoten existieren. Wie ist das möglich? Fischereilobby versus Realität, so einfach ist die Antwort. Seit Jahren prangern Wissenschaftler die zu hohen Fangquoten und die viel zu optimistisch angesetzte Entwicklung der Fischbestände an. Nun haben das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eine Analyse veröffentlich, die eindeutig belegt: Etwa 70 Prozent der wirtschaftlich genutzten Fischbestände in den nördlichen EU-Gewässern sind überfischt oder komplett zusammengebrochen und das, obwohl sich die EU zu „nachhaltiger Fischerei“ rechtlich verpflichtet hat, was auch immer sie darunter versteht.

Ein Fallbeispiel: Der östliche Ostseedorsch gilt bereits als ausgestorben. Dem westlichen Ostseedorsch und dem Hering blüht im schlimmsten Fall das gleiche. Schuld ist die trotz extrem sinkender Bestände immer weiter geführte Überfischung. Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR: „Es sind die kleinen Küstenfischer, die am meisten leiden, oft ohne etwas falsch gemacht zu haben, außer vielleicht, sich auf die politische Vertretung durch Fischereiverbände zu verlassen, die Lobbyarbeit für nicht nachhaltige Fangquoten betrieben haben.“
Das GEOMAR schlägt eine unabhängige Institution vor. Dr. Rainer Froese, der Erstautor der Studie: „Um erfolgreich zu sein, müsste eine solche Einrichtung für nachhaltige Fischerei mit dem gleichen Maß an Unabhängigkeit arbeiten wie eine Zentralbank.“ Und er betont: „Die Umsetzung fundierter wissenschaftlicher Empfehlungen könnte in vielen Fällen innerhalb weniger Jahre zu einer hochprofitablen Fischerei aus großen Fischbeständen in gesunden europäischen Meeren führen.“
Das Thünen-Institut hingegen kritisiert das GEOMAR. „Diese GEOMAR-Autoren fallen schon seit Jahren mit vermeintlich umweltverbandnahen Positionen auf“, kritisiert Christopher Zimmermann, Leiter des Rostocker Thünen-Instituts. Richtig sei, „dass die Unsicherheiten unserer Vorhersagen insbesondere für die Ostseebestände stark gestiegen sind – das hat etwas mit Klimawandel und Überdüngung zu tun“.
Wo die bisherige Fischereipolitik hingeführt hat, straft solche Anmerkungen ab. Man sollte davon ausgehen, dass Fangquoten eigentlich den Klimawandel und die spezielle Situation der Ostsee berücksichtigen. Dem scheint nicht so. Die Realität holt die Politik nun ein und bestätigt einen vollkommen falschen Umgang mit unserem Meer vor der Haustür. Anstatt konservativ zu denken und die Überfischung zu stoppen, um dem Meer und damit den Fischbeständen Zeit zu geben, sich zu erholen, wird weiterhin befischt.
Rainer Froese: „Interessanterweise blieben die tatsächlichen Fänge in der Ostsee meist unter den erlaubten Mengen. Das liegt schlicht daran, dass viele Fischer nicht mehr fangen konnten oder wollten: Die Suche nach den letzten Fischen wäre zu teuer geworden und hätte sich nicht mehr gelohnt.“
Weitere Informationen und die dazu gehörende Analyse: https://www.geomar.de/news/article/warum-europas-fischereimanagement-neu-gedacht-werden-muss https://www.science.org/doi/10.1126/science.adv4341